Ein Gespräch mit Hans Geisslinger und Stefanos Pavlakis über Interventionen und Kulturwandel

Hans Geisslinger und Stefanos Pavlakis sind langjährige Kooperationspartner des Zentrums für systemische Forschung und Beratung. Mit Ihren Interventionen für Expedere und als Storydealer begleiten und gestalten sie Kulturwandelprozesse in Organisationen.

Jacques Chlopczyk: Wozu laden Euch die Organisationen ein? Worum geht es bei diesen Prozessen? 

Stefanos Pavlakis: Die Ziele unserer Projekte sind unterschiedlich. So werden wir in der letzten Zeit immer häufiger angefragt um Leadership Themen in Organisationen zu tragen. Ähnlich ist dabei, dass Organisationen, die bei uns anklopfen, meist andere Methoden schon versucht haben – ohne den erwünschten Wandel zu erreichen.

JC: Leadership Themen können ja sehr unterschiedliche Aspekte umfassen… Könntet ihr kurz ein Beispiel skizzieren? Und welche Themen gibt es daneben noch?

Hans Geisslinger: Es vor allem um die Entwicklung einer neuen Führungskultur, d.h. weg von der optimalen Verwaltung des Ist-Zustandes (Management) und hin zu mehr Eigenverantwortung, höheres Risikobewusstsein, über bisher gekannte Grenzen gehen, Neues ausprobieren… - summa summarum: es geht darum das Unternehmen von den in der Regel gesättigten europäischen Märkten zu neuen Ufern zu führen, in einen Möglichkeitsbereich hinein der bisher (noch) nicht gesehen wurde.

Weitere Themen für die wir angefragt werden sind bspw. Innovation, Kommunikation, Teambuilding und Identitätskonstruktionen - alles Themen, die sich nicht per Informationsweitergabe bzw. per Schulungssequenzen vermitteln lassen, sondern einer gemachten Erfahrung bedürfen um in die jeweilige Kultur implantiert zu werden.

JC: Wenn ihr sagt, es wurden schon andere Methoden versucht – um welche Methoden und Ansätze handelt es sich dabei? Was sind die Unterschiede zwischen Eurer Methode und anderen Methoden?

HG: Unsere Methode ist erfahrungsbasiert, d.h. wir gehen davon aus, dass Einstellungen, Verhaltensmuster, soziale Rollen - also die in einer Organisation gewachsenen Strukturen dort auch immer wieder ihre Bestätigung erfahren. Das ändert sich auch nicht durch die Weitergabe von Informationen in Form klassischer Schulungen und Workshops.

Letzteres hatte man bei SIG 2013 versucht aber kurz darauf wegen abgebrochen da sich abzeichnete, dass nichts dabei herauskommen wird. In der gleichen Situation befand sich die A1 (Telekom Österreich), d.h. in beiden Fällen wurden wir nach dem ersten (gescheiterten) Versuch angefragt.

Damit ist m.E. auch die zweite Frage nach dem Unterschied beantwortet. Wir geben das zu Vermittelnde nicht als Information an die „Empfänger“ weiter, sondern bauen einen Erfahrungsraum mit einer Aufgabenstellung auf. Beim Versuch dieser Herausforderung gerecht zu werden müssen die geforderten Skills zur Anwendung gebracht werden (ohne als solche vorweg von uns thematisiert worden zu sein - das geschieht danach), ansonsten ist das Vorhaben zum Scheitern verurteilt. In beiden Fällen wird das um was es geht erst im Nachhinein thematisiert, d.h. das eigene Verhalten unter diesem Gesichtspunkt reflektiert.  

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JC: Wie werden diese Projekte von den Kunden bzw. den „Adressaten“ aufgenommen? Ich kann mir vorstellen, dass das schon ein gewaltiger Unterschied zu der Alltagserfahrung in der Organisation ist.

SP: Organisationen schwanken während der Interventionen zwischen Erstaunen, über das Potential das in ihnen schlummert, und Entwertungsstrategien. Unsere Interventionen sind eingebettet in Vor- und Nachbereitungen bzw. Reflektionen in denen wir diese Gefühle auffangen und damit Arbeiten. Aus genau diesem Grund schlagen wir auch längere Arbeitszyklen vor. Wir verstehen Kulturwandel als Prozess, nicht als Event!

JC: Wie kann ich mir so ein Projekt konkret vorstellen?

SP: Die Projekte finden außerhalb des Arbeitsalltags und Arbeitsumfelds der Organisation statt. Wichtig ist uns eine Konfrontation mit einer "Realität" außerhalb der Organisation, d.h mit einem sozialen Umfeld, das mit der Organisation in keinerlei direkter Beziehung steht. Deshalb finden unsere Projekte - wir nennen sie auch Interventionen - in der Regel im öffentlichen Raum statt.

Hier wird eine kleine Gruppe von "Außerwählten" aus der Organisation zu Akteuren. Sie versuchen in einem sehr engen Zeitrahmen eine ihnen völlig Fremde Aufgabe zu meistern. Die Gruppe wird quer durch die Organisationshierarchie ausgewählt. Die Aufgabe kann nur gelingen wenn ihr Sinn eingehaucht wird, d.h wenn die Gruppe eine Strategie entwickelt, die Lust zum Mitmachen erweckt.

HG: Wir arbeiten also zunächst mit einem Kernteam das quer zur Hierarchie des Unternehmens aus fünf bis acht Teilnehmern zusammengesetzt wird. In diesem Rahmen entwickeln wir aus dem von der Organisation erarbeiteten Zielbild die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Intervention.

Stehen diese fest, wird an dem Plot für die Geschichte gearbeitet, um anschließend eine dazu passende Prozessarchitektur zu erstellen. Darauf fußend beginnt die erste Intervention. In der Regel lassen wir die ersten Infos dazu kryptisch und Wochen vorher in die Binnenkommunikation des Unternehmens einfließen. Auf diese Weise entsteht ein Spannungsbogen, d.h. die Mitarbeiter überlegen, vermuten und tauschen sich aus. Es entsteht Erzählmaterial das seinerseits die Relevanz des Vorhabens erhöht, d.h. es gewinnt an Bedeutung, gerade weil man nicht so richtig weiß was hier auf einem zukommen könnte. Alles Weitere hängt von der konkreten Geschichte ab, die es umzusetzen gilt.

JC: Wie lange sind diese Arbeitszyklen? Was ist für den Erfolg dieser Projekte wichtig?

HG: Wenn es sich um strategische Inszenierungen handelt, wo es um Kulturveränderung bzw. Organisationsentwicklung geht, dann sind wir in der Regel zwei bis drei Jahre am Werk. Dieser Zeitraum ist nötig, um durch gezielte Interventionen Irritationen auszulösen, die gegebenen Ordnungsstrukturen zu unterlaufen und neue Erfahrungsmöglichkeiten zu eröffnen die dann ihrerseits ja wieder in die Kultur des Unternehmens einfliessen müssen, um dort einen relevanten Unterschied zu erzeugen und den Status quo zu verändern.

SP: Wichtig ist, dass sich die Führung des Unternehmens aktiv in diesen Prozess einbringt, d.h. die Ambivalenzen die damit erzeugt werden aushält und trägt. Darüber hinaus muss vorweg an das Nachher gedacht werden: Was passiert nach den Interventionen, wie werden sie diskursiviert, gibt es ein Masternarrativ, laufen die begleitenden HR-Maßnahmen in Korrespondenz mit den Interventionen, fließen die neu gewonnenen Erfahrungen in den Umbau des Personalbereichs ein…?

JC: Es sind ja bereits verschiedene theoretisch relevante Begriffe wie Erzählungen, Systeme etc. gefallen. Was sind die wichtigsten Ideen oder Konzepte auf die ihr Euch in Eurer Arbeit stützt?

HG: Die Kunst des 20. Jahrhunderts stellte mit der Aktionskunst das Ereignis in den Fokus der Betrachtung. Es ging mehr um das Erleben und weniger um Objekte die es zu betrachten gilt. Ereignisse sind Interventionen in den normalen Lauf der Dinge. Sie durchbrechen den Erwartungshorizont der Teilnehmer und ermöglichen neue Erfahrungen. Wenn man über sie erzählt, d.h. diese Erfahrungen anderen weitervermittelt erzählt man eine Geschichte. Hier setzt die Philosophie von Wilhelm Schapp an, denn in der Form einer Geschichte liegen die Organisationsprinzipien unserer Erfahrungen. Wird bspw. alles was einem widerfährt als Bekanntes wahrgenommen, bleibt das Erleben einer Geschichte aus. Es bedarf also der Erfahrung einer Indifferenz zwischen Wollen und Tun, d.h. eines offenen Prozesses, dessen Ausgang noch von vornherein festgelegt ist.

Um solche Spiel- und Erfahrungsräume zu öffnen bedienen wir uns der Inszenierung als Herstellungsstrategie. Hier greifen wir auf die Ethnomethodologie von Garfinkel zurück und auch auf den empirischen Konstruktivismus.

SP: Ein weiterer wichtiger theoretischer Background ist der Sport. Kein anderer gesellschaftlicher Bereich hat die Idee des methodischen Trainings über einen derart langen Zeitraum entwickelt und perfektioniert wie der Sport. Und in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich sind die Elemente des Spiels nach wie vor so präsent wie hier. Eine Erfahrungswissenschaft des Wandels sollte sich dieses gesammelten Wissens bedienen, um es für sich nutzbar zu machen. Damit wären wir bei der Philosophie des Spiels und bei dem holländischen Philosophen Huizinga (Homo ludens).

JC: Wie seit ihr dazu gekommen zu tun was Ihr tut? Was sind Eure Inspirationsquellen? Was motiviert Euch an dieser Aufgabe?

SP: Wir kommen aus der Kunst, dem Sport und den Sozialwissenschaften und entsprechend dieses unterschiedlichen Backgrounds ist auch unsere Motivation nicht unbedingt deckungsgleich. Sie überschneidet sich auf alle Fälle dort wo es um die Lust auf Spiel und Veränderung geht, etwas in die Welt zu setzen das die Dinge ins tanzen bringt und Menschen und Organisationen dazu zu verführen über sich hinaus zu wachsen.

JC: Wenn Ihr Eure Rolle in diesen Transformationsprozessen in einer Metapher beschreiben müsstet: welche würdet ihr wählen?

HG: Jede Veränderung, schreibt Giordano Bruno, nimmt ihren Weg durch die Vorstellungskraft. Die willentliche Anwendung dieser Kraft, d.h. die bewusste Veränderung der eigenen Phantasie und ihrer Übertragung auf andere, charakterisiert den Beruf des Magiers. Spiegelte sich diese Fähigkeit früher im Dichter oder bildenden Künstler wider, so beschäftigt sich der Magier von heute mit Menschenführung, also mit allem, was damit zu tun hat, Verhalten zu beeinflussen und zu verändern. Um deine Frage zu beantworten: Wir sehen uns in der Rolle moderner Magier.

Literatur: 

  • Geisslinger, H. (1992): Die Imagination der Wirklichkeit. Experimente zum radikalen Konstruktivismus.

  • Geisslinger, H. (Hrsg.)(1999): Überfälle auf die Wirklichkeit.

  • Geisslinger, H. & Raab, S. (2007): Strategische Inszenierungen. Story Dealing für Marketing und Management.

www.storydealer.de